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Digitalisierung: Politischer Beistand für den Mittelstand

EU-Kommissar Günther H. Oettinger Ehrengast und Referent auf 22. Möbelrunde OWL

Herford/ Kirchlengern den

Die 22. „Möbelrunde Ostwestfalen-Lippe“ begrüßte am 30. August EU-Kommissar Günther H. Oettinger als Ehrengast im „Hettich Forum“ in Kirchlengern. Angelehnt an die bekannte Aussage „Was sich digitalisieren lässt, wird digitalisiert“ hielt er ein kraftvolles Plädoyer für eine offene digitale Welt. Globalisierung, Automatisierung sowie Digitalisierung seien eng gekoppelt und noch stünde, auch in der Europäischen Union, die Entwicklung am Anfang. Oettingers Mahnung an den Mittelstand: Nicht den Anschluss verlieren und für die Zukunft rüsten!

Nicht nur einmal bot Oettinger später der versammelten mittelständischen Möbelwirtschaft unbürokratische, tatkräftige Hilfe an – persönlich und die seiner Behörde. Dr. Lucas Heumann, neben Dr. Reinhard Göhner, Dr. Andreas Hettich und Steffen Kampeter Mitinitiator der vor vielen Jahren ins Leben gerufenen Möbelrunde, nahm als Hauptgeschäftsführer der Möbelverbände in Herford diese Botschaft gern auf und sondiert bereits erste Terminoptionen für einen Gedankenaustausch in Brüssel.

Etwa 100 Branchenvertreter, die Regionalpolitik, Netzwerker sowie die Presse waren der Einladung zur 22. Möbelrunde Ostwestfalen-Lippe gefolgt, darunter sowohl die erste Führungsebene der regionalen IHK, zahlreiche Messeveranstalter und Bürgermeister aus dem Umland. Mit wohlmeinenden Aussagen zur Bedeutung der Möbelindustrie im deutschen Wirtschaftsleben, ihrer Position im internationalen Vergleich und zum hohen sozialen Engagement mittelständischer Familienbetriebe punktete Oettinger bereits zum Auftakt seines Vortrags.

Das europäische Projekt ist in Lebensgefahr!

Doch hielt er auch fest, dass die Auswirkungen von Globalisierung, den Freiheiten des Internets, von Konzentrationsprozessen und veränderten Verbrauchergewohnheiten gerade für die deutschen Möbler einen unglaublichen Kraftakt bedeuten. Die sich schnell drehende Spirale tiefgreifender Veränderungen erzwinge Innovationsbereitschaft, Flexibilität, Mut zu Investitionen und Weitsicht in einem bisher nie gekannten Ausmaß.

Automatisierung, Digitalisierung und Abbau von Handelshemmnissen setzte Oettinger gekonnt in den Kontext zu Re-Nationalisierung, Abschottung und Populismus. Auch mit Blick auf die amerikanischen Präsidentschaftskandidaturen und das Flüchtlingsdrama in Europa hielt er fest: „Das europäische Projekt ist in akuter Lebensgefahr!“

Die deutsche Sonderkonjunktur ist nicht „naturgegeben“

Oettinger forderte von der Wirtschaft deshalb mehr Engagement und zwar weit über das eigene Unternehmen oder die Firmenbilanz hinaus. Und: Der EU-Kommissar bewertet aus Brüsseler Distanz die deutsche Wirtschaft auf dem Gipfel ihrer Blüte. Folge nun ein „Welken“…?

Denn gerade traditionelle Branchen wie die Möbelindustrie täten sich oft schwer, Erfolgsgeschichten fortzuschreiben und über Jahrzehnte zu verstetigen. Womit Oettinger zu seinem Kernthema, die Notwendigkeit zur Digitalisierung aller Lebens- und Wirtschaftsbereiche, überleitete.

Digitalisierung: viele Herausforderungen – unzählige Chancen

Durch den sich vollziehenden Generationswechsel auf Kundenseite, durch ausufernde Produktionsnebenkosten, veränderte Vertriebsstrukturen und neue Bedürfnisse wie dem „smart home“ sieht Oettinger die Möbelbranche vor klaren Herausforderungen. Wobei die Chancen hervorragend für die Branche stünden, denn die Ausgaben für modernes Wohnen wachsen weiter – so Oettinger.

Seine Empfehlung deshalb an die Unternehmerschaft: Lassen Sie sich jetzt beraten und unterstützen, Digitalisierung ist weder technisch noch administrativ ein Selbstläufer. Global agierende Konzerne hätten für diese postindustrielle Revolution ganze Hundertschaften an Personal – die dem Mittelstand fehlten. Fazit Oettinger: Wer in den nächsten fünf Jahren nicht die Weichen in die digitale Welt gestellt habe, ist weg!

Wir brauchen globale Spielregeln, auch gesetzlich

Natürlich streute der Kommissar auch Salz in selbst zu verantwortende Wunden: So fehlten weiter ein (mindestens EU-weites) gesetzliches Regelwerk zur Digitalisierung, ein „Digi-BGB“. Und mit Blick auf Deutschland vermisse er Rahmenbedingungen, die die Giga-Byte-Gesellschaft bis 2025 Realität werden lassen können. Denn eher könne man Schlaglöcher akzeptieren als Mobilfunk- oder Kabelnetz-Löcher…

Steffen Kampeter machte in seinem anschließenden Dank an den Gastredner deutlich, dass es in Deutschland grundsätzlich nicht an politischem Willem fehle. Nur konzentriere der sich wohl eher auf die Regulierung von Home-Office-Arbeitsplätzen – leider aus der Sicht fast einhundertjähriger Rechtstexte für klassische Arbeitsplätze und zu Industrie-Arbeitszeiten… Als Hauptgeschäftsführer der BDA warnte Kampeter eindringlich davor, dass mit dieser Herangehensweise dauerhaft viel Porzellan zerschlagen werden könne.

Was können, was müssen wir als Möbelbranche tun?

Die nachfolgende Diskussionsrunde zu Stand, Chancen und Gefahren digitaler Vernetzung in der Möbelbranche unter dem Titel „Digital Na(t)ives“ gestaltete sich unter sachkundiger Moderation von Dr. Olaf Plümer (Möbelverbände/ Daten Competence Center) zu einem zweiten Highlight dieses Tages – alle Zuhörer lauschten weit über eine Stunde gefesselt dem Podiumsgespräch.

Bemerkenswerte Beiträge lieferten Clemens Deventer, langjährige Führungskraft auf Herstellerseite, Roman Rochel, Deutschland-Boss der weltweiten Einrichtungscommunity houzz.com, Arne Stock, Vorstandsvorsitzender moebel.de aus Hamburg, sowie Martin Wieland, Strategiechef des Hermes Einrichtungsservice in Löhne.

Herforder Möbelverbände: Wir bleiben dran!

Unter vielen wichtigen Ansätzen stachen heraus: Erstens – Digitalisierung läuft nicht „so mal mit“, zweitens erwarte der Kunde Omnipräsenz der Anbieter sowie Informationen jederzeit über jeden Kanal, drittens – alle Beteiligten der Wertschöpfungskette müssen vernetzt sein und alle Informationen im Verkaufsprozess austauschen können sowie viertens –  eCommerce werde überbetont, weil nur ein kleines Mosaiksteinchen der sich vollziehenden Digitalisierung.

In seinem Schlusswort verwies Dr. Lucas Heumann erneut auf die verfallbaren EU-Subventionen an die polnische Möbelindustrie, die Wettbewerbsverzerrungen fördern und auf die Arbeitsplatzvernichtung der dies finanzierenden Steuerbürger hinauslaufen. Ein „digitales BGB“ hielt er für zwingend nötig und versicherte allen Gästen: Die Möbelverbände bleiben an diesen Themen dran! Heumann dankte abschließend Andreas Hettich für die erneut gewährte Gastfreundschaft und perfekte Organisation der Möbelrunde OWL mit Nummer 22.