Die Zahl ist erschreckend – laut einer aktuellen Studie sollen jährlich etwa 150 Milliarden Euro Umsatzsteuer in der EU nicht abgeführt werden. Zum Vergleich: Dies entspricht rund dem Dreifachen des Bruttoinlandsprodukts von Luxemburg! Rund ein Drittel dieses gigantischen Volumens entfällt davon auf den grenzüberschreitenden Mehrwertsteuerbetrug.
Reformstart zum 1. Januar 2020
Klar, dass die Kommission seit längerem an einer grundlegenden Änderung des Umsatzsteuerrechts arbeitet, die nunmehr zum 1. Januar 2020 starten wird. Zumal der bisherige Rechtsstand bereits seit einem viertel Jahrhundert Gültigkeit entfaltet und als partiell veraltet gilt. So bleiben viele moderne Entwicklungen im Leistungsaustausch unberücksichtigt – das beginnt mit dem grenzüberschreitenden Onlinehandel und endet – erzwungenermaßen – beim EU-Austritt des Vereinigten Königreichs.
Wegen den ersten, in Kürze in Kraft tretenden Rechtsänderungen bis hin zum Abschluss dieser Reform hatten die Verbände der Holz- und Möbelindustrie Nordrhein-Westfalen ein Umsatzsteuer-Seminar vorbereitet und am 31. Januar in den Herforder Geschäftsräumen veranstaltet. Zur Veranstaltung unter Leitung und Moderation von Andreas Ruf, verantwortlich für die Bundesfachverbände, kamen rund 15 hoch motivierte Unternehmensvertreter.
Umsatzsteuerseminar mit ausgewiesenen Umsatzsteuer-Experten
Zu den fachlichen Aspekten der anstehenden Veränderungen im Umsatzsteuerrecht, zum Brexit und auch zu Fragen betrieblicher Steuer-Compliance-Systeme hatte die Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft HLB Stückmann ihre Unterstützung versichert. Von den rund 150 Mitarbeitern an den Standorten Bielefeld, Hamburg und München nahmen sich die Steuerberater und Diplom-Finanzwirte Alexander Schallock sowie Frank Johannesmeier hinreichend Zeit, um ausführlich die Problematik zu beleuchten und die zahlreichen Fragen aus dem Teilnehmerkreis fundiert zu beantworten.
Derzeit ist die Umsatzsteuer auf europäischer Ebene durch gesetzliche Änderungen, diverse Ausnahmetatbestände, permanente Rechtspflege und externe Einflüsse in vielen Themenbereichen im Wandel. Unternehmen müssen sich stetig über für sie relevante Änderungen informieren, um rechtszeitig zu reagieren und handlungsfähig zu bleiben.
Im Bereich des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems sind ab 2020 viele Harmonisierungen und Erleichterungen geplant. Genau diese Änderungen stellen jedoch die Industrie vor große Herausforderungen, sie haben Erklärungsbedarf und führen bei Missachtung schnell zu Straftatbeständen.
Steuerrechtliche Auswirkungen in Möbelunternehmen aufgezeigt
Das von den Herforder Möbelverbänden konzipierte Umsatzsteuer-Seminar griff exakt diese Problematik auf und bot einen vorzüglichen Rahmen zur Abklärung offener Fragen und Probleme. Um gut auf die anstehenden Änderungen vorbereitet zu sein, müssen auch Unternehmen der Möbelindustrie nun in vielen Bereichen ihren „Status Quo“ hinterfragen und eine Vielzahl von Anpassungen vornehmen.
Wie dies am besten gelingen kann, demonstrierten Johannesmeier und Schallock anschaulich. Im Idealfall wird ein unternehmensinterner „Fahrplan“ entwickelt, der verbindlich alle Maßnahmen und Verantwortlichkeiten bei den kommenden Umstellungen im Privatkundengeschäft, beim Handel innerhalb der EU sowie durch den Brexit festhält.
Der Plan der EU ist klar und kommuniziert: Zum 1.1.2020 werden innergemeinschaftliche Lieferungen und grenzüberschreitende Reihengeschäfte harmonisiert und das Bestimmungslandprinzip auf Dienstleistungen an Endkunden ausgeweitet. Ab 2022 bzw. 2023 gelten neue umsatzsteuerliche Regelungen bei E-Commerce, die Mehrwertsteuersätze werden reformiert und Kleinunternehmen werden mit Blick auf Bürokratieabbau entlastet. Nach einer fünfjährigen Erprobungsphase schließt das Mammutprojekt mit der vollständigen Umsetzung des Bestimmungslandprinzips für alle grenzüberschreitende Lieferungen und Leistungen.
Auch beim Brexit: Vorbeugen ist besser!
Ein wichtiges Seminarthema waren die bestehenden Ungewissheiten mit Blick auf den Brexit. Die Steuerexperten von HLB Stückmann empfahlen die schnelle Vorsorge für einen „worst case“ – z.B. durch Anpassung von Lieferverträgen mit der Aufnahme von Zoll- und Umsatzsteuerklauseln, durch Vorbereitung der internen Stammdaten für Großbritannien-Geschäftskontakte, die Einkalkulierung von längeren Lieferzeiten sowie ggf. durch den Aufbau eines Lagerbestands für die besonders kritische Brexit-Phase. Auch bezüglich des EU-Austritts von Großbritannien konnten Johannesmeier und Schallock die verschiedenen steuerrechtlichen Konsequenzen anschaulich vermitteln.
Alle Seminar-Teilnehmer, die Referenten und der Veranstalter waren mit der Tagung sehr zufrieden. Eine Wiederholung bietet sich an, zumal die Zeit bis zum Stichtag 1.1.2020 immer knapper wird und ein Teil der Mitgliedsunternehmen noch einige ‚Hausaufgaben‘ zu erledigen hat. Hierbei können sie natürlich mit der Unterstützung der Herforder Möbelverbände rechnen, wie Andreas Ruf abschließend bekräftigte.